Der Wald und seine Biodiversität

Das Valle di Lodano weist bis in die höheren Lagen eine erhebliche Bewaldung auf. Trotz des raschen Vordringens der Vegetation sind aber die Alpweiden noch gut zu erkennen. Die zum Teil sehr intensive Nutzung der Wälder endete in den 1960er-Jahren. Seitdem hat die natürliche Entwicklung eine schrittweise Regeneration bewirkt.

Im Gebiet von Castèll entlang des Ri dala Vall bis zum Haupttalboden hat der Wald eine wichtige Schutzfunktion, während diese im übrigen Gebiet nur zweitrangig ist. So spielt im Tal die Biodiversität die Hauptrolle, weshalb vorrangig die Aspekte der Artenvielfalt zu fördern und aufzuwerten sind.

Dank der verschiedenartigen Morphologie des Valle di Lodano sind auch die Wälder sehr unterschiedlich. In tieferen Lagen dominieren Kastanienbäume und Pionierwälder mit Birken, in den Schluchten und auf den Geröllhängen mit mildem Klima begegnet man der Winterlinde und in den exponierteren und trockeneren Zonen schliesslich der Traubeneiche. In der montanen Stufe dominieren die Buchenwälder; besonders auf der linken Talseite gibt es reine Buchenwälder mit imposanten Exemplaren. Auf der gegenüberliegenden, schattigeren Talseite vermischen sie sich mit der wieder verbreiteteren Weisstanne. In der subalpinen Zone ist hingegen die Lärche die wichtigste Baumart, obwohl unterhalb der Alp da Canaa und in der Gegend von der Alp da Nagairón auch Rottannen wachsen.

Durch wissenschaftliche Untersuchungen konnten unterschiedliche Waldtypologien festgestellt werden. Speziell erwähnenswert sind die besonders gut erhaltenen Tannen-Fichtenwälder in der Nähe von Casgèira, eine Seltenheit im Vallemaggia, die subalpine Variante der Blockschutt-Fichtenwälder bei Sciüpa d Nagairón, Birkengehölz sowie Weiden und Lärchen auf von Überschwemmungen stammendem Geröll in der Nähe von Castèll. Gefunden wurden weitere interessante Gehölzarten wie Sommerlinden, Schwarz- und Grauerlen, sowie der Alpen-Goldregen und Eiben.

Die Natur in ihrer gesamten Vielfalt

Um die gesamte Artenvielfalt im Valle di Lodano zu dokumentieren, war intensive Forschungsarbeit nötig. Alle naturwissenschaftlichen Fakten zusammenfassend zu beschreiben – es sind mehr als 680 verschiedene Arten erfasst worden – ist ein schwieriges und problematisches Unterfangen. Wahrscheinlich würde durch ein zu analytisches und rationales Vorgehen jeglicher Zauber zerstört, der alle Formen des Lebens bis hin zum kleinsten und unscheinbaren Detail umgibt.

Wie soll man den Wert der erfassten 180 Pilz- oder 240 Pflanzenarten im Valle di Lodano beschreiben? Oder wie der Zierlichkeit von 50 Arten von Schmetterlingen oder den wunderbaren Melodien der 22 verschiedenen Heuschreckenarten in Wiesen und Weiden gerecht werden? Eine wahrlich schwierige Aufgabe. Eine Art einer anderen vorzuziehen, grenzt an Ungerechtigkeit gegenüber dem fundamentalen Wert und der ökologischen Bedeutung, die jede einzelne Art einnimmt. So leistet zum Beispiel jede der beobachteten 42 verschiedenen Ameisenarten eine wichtige Aufgabe im gut funktionierenden Ökosystem.

Auch die Mannigfaltigkeit der Vögel, welche die Wälder bevölkern, ist beachtlich: 45 erfasste Arten, unter ihnen der Raufusskauz, der Halsbandschnäpper und das Haselhuhn. Ausserdem haben die Forscher 22 Säugetierarten registriert, von den typischsten wie dem Steinbock und Murmeltier bis hin zu den kleinsten wie der Zwergspitzmaus oder der Schneemaus. Artenvielfalt gibt es überall! Auch ein vermodernder Baumstamm kann unglaublich viel Leben beherbergen: Insekten, die sich von abgestorbenem Holz ernähren (36 Arten der Xylobionten wurden erfasst) wie zum Beispiel der Alpenbock finden hier einen idealen Lebensraum.

Seltene oder vom Aussterben bedrohte Arten zu finden ist ein Privileg, das in der Folge aber auch die Verpflichtung beinhaltet, sie zu erhalten. Die Erschaffung des Waldreservates und die Massnahmen zur Erhaltung der Wiesenzonen gehen in die richtige Richtung. Seien Sie aufmerksam und neugierig auf den jahrhundertealten Wegen in diesem faszinierenden Gebiet, und lassen Sie sich von der unglaublichen Formenvielfalt des Lebens überraschen. Schon die Älpler und Waldarbeiter wurden in den letzten Jahrhunderten auf ihren Fussmärschen von denselben Pflanzen und Lebewesen in diesem Tal begleitet.

UNESCO-Welterbe

Im Jahr 2007 nahm die UNESCO die ersten europäischen Buchenwälder in die Welterbeliste auf und anerkannte damit deren herausragende universelle Bedeutung. Sie entsprechen dem Welterbe-Kriterium (ix). Konkret bedeutet das:

«Die Buchenwälder gelten als aussergewöhnliche Beispiele für die postglaziale ökologische und biologische Entwicklung terrestrischer Ökosysteme. Diese Entwicklung prägte den ganzen Kontinenten auf globale und einzigartige Weise und dauert weiterhin fort.»

Die universelle Ausnahmestellung lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die Buche konnte die widrigen klimatischen Verhältnisse während der Eiszeiten der letzten Millionen Jahre überstehen, indem sie sich an einige isolierte Orte im Süden und Südosten Europas zurückzog. Nach der letzten Eiszeit breitete sie sich von dort aus entlang von Korridoren durch den ganzen Kontinenten nach Norden und Westen aus und besiedelte die klimatisch wie geologisch und morphologisch unterschiedlichsten Gebiete. Von allen Baumarten war die Rotbuche (Fagus sylvatica) die prägendste: Als einzige konnte sie derart vielfältige Umweltbedingungen meistern. Die europäischen Buchenwälder – insbesondere jene, die schon lange ihrer natürlichen Entwicklung überlassen sind – gelten somit als einzigartige Beispiele komplexer Wälder und können eine breite Palette an vollständigen Ökosystemen bilden. Sie weisen eine wertvolle genetische Diversität auf – nicht nur von Buchen, sondern auch von vielen weitere Arten, die von diesen Lebensräumen abhängen.

Unter der Bezeichnung «Alte Buchenwälder und Buchenurwälder der Karpaten und anderer Regionen Europas» umfasst die Welterbeliste der UNESCO derzeit eine repräsentative Auswahl von 94 solchen Wäldern in ganz Europa, verteilt auf 18 Staaten. Gemeinsam stellen sie einen Wert von einzigartiger, universeller Bedeutung dar. Mit der Auswahl wird eine Vertretung der besten, vom Menschen möglichst unbelasteten Buchenwälder angestrebt. In ihrer Gesamtheit dokumentieren sie die Geschichte der Verbreitung der Buche nach der letzten Eiszeit und belegen die grosse Fähigkeit dieser Baumart, sich an die unterschiedlichsten Bedingungen anzupassen.

Seit dem 28. Juli 2021 gehören zu diesem seriellen Welterbe auch die alten Buchenwälder des Valle di Lodano und der benachbarten Valle Busai und Soladino als Vertreter der Schweizer Alpensüdseite (der zweite Vertreter aus der Schweiz ist der Buchenwald des Bettlachstocks).

Der Buchenwald im Vallemaggia ist ein aussergewöhnliches Beispiel für die Ausbreitung der Buche nach der letzten Eiszeit auf der Alpensüdseite vor rund 6000 Jahren. Seine Lage in einer klimatischen und geologischen Übergangszone, seine ausgeprägte Höhenausdehnung und sein Untergrund aus Silikatgesteinen machen ihn besonders repräsentativ. All diese Faktoren begünstigen den hier dominierenden Waldtyp des Hainsimsen-Buchenwalds.

«Das Welterbe-Label ist die prestigeträchtigste Anerkennung, die einer Naturlandschaft zuteilwerden kann und stellt gleichzeitig eine Verpflichtung zu ihrer Erhaltung für zukünftige Generationen dar.» (Swiss Alps Jungfrau-Aletsch UNESCO World Heritage Site).

Für einen Besuch der alten Buchenwälder des Valle di Lodano empfehlen wir die Wanderrouten 1, 2 und 3 auf dieser Webseite.